In einem Gastbeitrag im „Tagesspiegel“ (07.09.2018) setzt sich der Berliner Hausarzt Erich Freisleben dafür ein, die Erfahrungen aus der Praxis und die Patientenpräferenz und -akzeptanz neben der durch Forschung nachgewiesenen Evidenz – ganz im Sinne des Evidenz-Protagonisten David Sackett – gleich zu gewichten. Sacket sah in der Evidenz, der Praxiserfahrung und der Akzeptanz durch die Patienten die drei Säulen der evidenzbasierten Medizin. Sackets Credo war, dass gute Ärzte sowohl Evidenz, als auch Erfahrung nutzen. Denn selbst exzellente Forschungsergebnisse könnten für den einzelnen Patienten unpassend oder nicht anwendbar sein. Als Risiko der Tyrannei durch Evidenz, beschrieb Sacket diesen Zusammenhang. Freisleben kritisiert, dass sich die medizinische Forschung schon immer überwiegend auf konventionelle Medikamente fokussiert habe. Wer sich jedoch ausschließlich auf den Aspekt der externen Evidenz stütze, verzichte auf das Gesundungspotential, das aus der Erfahrung heraus auch von komplementären Methoden ausgeht.
Freisleben stellt heraus, integrative Behandlungsmethoden wie die Homöopathie hätten sich aus der Erfahrungswelt der Praxis heraus entwickelt. Was sich über lange Zeiträume in der Praxis bewährt habe, habe allein vor diesem Hintergrund mit hoher Wahrscheinlichkeit einen therapeutischen Nutzen. Die weite Verbreitung von komplementären Behandlungsmethoden, die Umfragen zufolge bei 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung liege, sei ein Beleg für diese guten Erfahrungen. Das treffe auch auf die Homöopathie zu, die sich als beliebtes Verfahren durchgesetzt habe und allein in Deutschland von tausenden von Ärzten eingesetzt werde. Der Hausarzt kritisiert zugleich Bestrebungen für eine allein „Evidence Based Medicine“ in Deutschland. Wenn ausschließlich eine Medizin Anwendung finden sollte, die ihre Wirksamkeit in teuren, placebo-kontrollierten Studien unter Beweis stellt, werde die von Sacket befürchtete Reduktion auf nur einen Aspekt der wissenschaftlichen Forschung Wirklichkeit. Ansätze wie die Psychotherapie hätten sich unter diesen Vorgaben in Deutschland niemals entwickeln können.
Es könne kein Argument gegen die Homöopathie sein, wenn sie mit den derzeitigen naturwissenschaftlichen Methoden nicht nachvollziehbar sei, stellt Erich Freisleben heraus. Die Angriffe gegen die Homöopathie bezeichnet der Arzt als „kampagnenartig“. Es widerspreche pluralistisch-demokratischen Grundsätzen, wenn sich dieses Diktat einer einseitig ausgerichteten Forschung durchsetze und wenn sich Wissenschaftler vor diesem Hintergrund nicht trauen, auf dem Gebiet der Komplementärmedizin zu forschen. Gleichzeitig setzt sich Freisleben für die Selbstbestimmung der Menschen in ihrer Behandlungsweise ein. Das müsse auch die Politik respektieren.
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